
Durch meinen spektakulären Coup, im letzten Jahr, aus dem D-Startblock ungebremst in den vorderen A-Block zu fahren, qualifizierte ich mich mit Platz 80 dafür, dieses Jahr im vordersten Startblock zu starten. Eine Ehre, die ich kaum ausschlagen konnte.
Bereits in der Neutralisationsphase machte ich mir Sorgen, ob ich ohne Ersatzbremsbeläge überhaupt das Rennen beenden könne. Das panische Kreischen der Carbonbremsflanken wird mich sicher noch mehrere Tage in meinen Träumen verfolgen. „Achtung!“ gefolgt von „Mann ey!“ war der mit Abstand häufigste Wortwechsel, gefolgt von „VERKEHRSINSEL!“ und dann wiederum „Mann ey!“.
Nun ging die Rote Flagge runter und die Neutralisationsphase war beendet. Was dann geschah erinnerte mich unweigerlich an die Anfangssequenz von Saving Privat Ryan. Das häufigste gebrüllte Wort war nun „STURZ!“. Ich habe Menschen auf so ziemlich jede denkbare Struktur der dörflichen Verkehrslandschaft aufschlagen hören. Das eher schabende Geräusch von Mann auf Asphalt war ebenso vertreten wie das paukenähnliche Geräusch von Mann gegen Stromverteilerkasten. Ich hörte Reifen an Bordsteinkanten Platzen und Lenker aneinander rasseln. Über all dem Lag stets der Geruch von verschmorten Carbonbremsbelägen.
Jetzt kamen die Abfahrten. Ich weiß nicht genau, wie ich es geschafft habe auch nur eine der drei großen Abfahrten zu überleben, geschweige denn alle drei. Ebenfalls meiner Kenntnis entziehen sich die Beweggründe für 90% aller Bremsmanöver meiner Vordermänner die mich wiederholt an die Schwelle des Todes führten. Als mein Vordermann auf schnurgrader Abfahrt eine Vollbremsung für eine angemessene Verkehrsmaßnahme hielt musste ich derart in die Eisen steigen, dass mein Hinterrad seitlich ausbrach. Ich konnte mit einem kleinen Bunny-Hop das Rad wieder grade ziehen und bekreuzigte mich dreimal- Im Geiste, denn die Rennsituation ließ es nicht mal zum Trinken zu, die Hand auch nur eine Sekunde vom Lenker zu nehmen.
So ging ich dann also dehydriert und zermürbt von der Anspannung beständiger Todesangst sowie einer stets von 20 auf 50 Km/h changierenden Pelotongeschwindigkeit in den ersten, langen Anstieg bei Hemeln. Dank eines ausgefeilten Katalogs von Trainingsentschuldigungen war mein Tempo am Berg eigentlich ganz gut aber auch mit der gekonntesten Rhetorik ließ sich das entflohene Hauptfeld nicht wieder herbeibeschwören.
So war ich nun also gezwungen mich mit einem acht Mann starken Platoon durch den erbarmungslosen Gegenwind zu fressen. Heroisch aber langsam. Am Ende reichte es für den 236. Platz von etwa 1800 Startern, bei einer Endzeit von 2:49:54. Immerhin noch knapp ein 34er Schnitt, dieser spiegelt aber keinesfalls die körperlichen und mentalen Anstrengungen wieder. Wissenschaftler haben errechnet, dass man bei gleichmäßigem Tempo mit der investierten Energie mindestens einen 60er Schnitt auf der gleichen Streckenlänge realisieren könnte. Zum Abendbrot gab es ein Strindberg Schnitzel.